By the way 337 - Was für eine triste Truppe

Das Problem beim VfB Stuttgart ist der Präsident. Nicht der Tabellenplatz. Das Problem bei den Stuttgarter Kickers ist nicht die sportliche Bedeutungslosigkeit. Das Problem ist der Vorsitzende des Förderkreises.

Grau ist alle Theorie, wenn es darum geht, ob die Machenschaften von Wolfgang Dietrich justiziabel sind und damit tauglich, den Mann mit formaljuristischen Argumenten aus seinen Ämtern zu entfernen. Denn eine 50 Prozent-Beteiligung an einer Firma, die mit den sportlichen Konkurrenten des VfB via Provisionen und so genannter „Advisory fees“ ordentlich Geld verdient, ist eben keine direkte Beteiligung, über die Dietrich nachweisbar direkten Einfluss nehmen kann. Dazu fehlt mindestens das „plus 1“ hinter dem „50“ und damit das Fitzelchen, das ausreichen würde, sein Wirken mit der Satzung des Vereins unvereinbar zu machen. Außerdem hat er vieles ja, zumindest auf dem Papier, an seinen Sohn übergeben. Stinkt zwar übelst, ist aber formaljuristisch grade noch in der Grauzone.

Dass Dietrich über Ausmaß und Zeitraum seiner wie auch immer gearteten, wohl aber ganz bewusst hart verschachtelten Beteiligungen, nicht die Wahrheit gesagt hat, das ist allerdings unstrittig. Nachweislich hat er beziehungsweise haben Firmen, an denen er beteiligt ist, sehr wohl bis mindestens zum Jahresende 2017 vom sportlichen Erfolg anderer Clubs im deutschen Profifußball profitiert. Und bis heute ist kein Registereintrag bekannt, der das belegt, was Dietrich immer wieder, und immer irgendwie verklausuliert, sagt: Dass er nämlich alle entsprechenden Ämter und Beteiligungen niedergelegt und sich von ihnen getrennt habe. Wo ist der entsprechende Registereintrag zur Firma namens VMM Consulting GmbH? Der „Kicker“ zitiert Dietrich hierzu wie folgt: "An der Quattrex Finance GmbH war ich zu keinem Zeitpunkt mit 50 Prozent beteiligt, sondern lediglich Minderheitsgesellschafter“. Und hält fest: „Doch exakt die Hälfte an der Quattrex Finance GmbH hält die VMM Consulting GmbH - deren alleiniger Gesellschafter Wolfgang Dietrich ist.“

Ist diese Aussage also eine aktive Lüge? Das, was der von Dietrich dem VfB eingebrockte ehemalige Sportvorstand Reschke als „massive Wahrheitsbeugung“ bezeichnet? Oder ist auch das „nur“ eine Halbwahrheit?

Wie ein roter Faden ziehen sich derlei Halbwahrheiten und Quasilügen durch die Karriere des Präsidenten, der für seine Mitarbeiter beim VfB gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen Verhaltenskodex mit Benimmregeln erließ, in dem unter anderem ein explizites Verbot von Sportwetten enthalten war. Wasser predigen und Wein trinken in Reinform.

Bereits auf der turbulenten Mitgliederversammlung 2016 hatte ich den damals noch zur Wahl stehenden Präsidentschaftskandidaten vor voller Halle vom Podium runter folgendes gefragt: „(...) Herr Dietrich, warum haben Sie sich von den restlichen Anteilen an der Quattrex Sports AG nicht auch noch getrennt, um möglichen Interessenkonflikten aus dem Weg zu gehen? (...) Mit welcher Summe sind Sie denn insgesamt als Investor über die Quattrex im deutschen Profifußball engagiert? Man hört von 35 Millionen Euro (...).“ Im Oktober 2016 war das, wohlgemerkt. Und schon damals wurde auf solche Fragen lieber mit Beleidigungen reagiert als mit vernünftigen Antworten. Vor allen anderen von Dietrich selbst – aber ebenso von etlichen der damals in den vorderen Reihen platzierten Jubelperser und „Mitmacher“.

Dass die Kollegen Aufsichtsräte um Daimler-Vorstand Wilfried Porth die Machenschaften „ihres“ Präsidenten decken, verwundert nicht im Geringsten. Schließlich haben sie ihn installiert – und es ist anzunehmen, dass sie von Anfang an genau wussten, dass seine öffentlichen Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen. In ihrer geradezu skurrilen Großmannsucht und Arroganz stehen sie ihrem zuletzt immer angeschlagener wirkenden großen Vorsitzenden in nichts nach – nur in Sachen Lächerlichkeit gelingt es ihnen bisweilen, noch einen oben drauf zu setzen. Etwa, wenn Daimler-Porth sich im Rahmen der unwürdigen Auseinandersetzungen mit Ehrenspielführer Guido Buchwald und auch mit Jürgen Klinsmann wie folgt zitieren lässt: „Ich verstehe, dass Fußballer nach ihrer Karriere eine Aufgabe im Management suchen. Dazu braucht es (...) aber (...) Kenntnisse und Kompetenzen.“ Porth weiß wie immer bestens Bescheid – und es ist überaus bedauerlich für Branchenführer Bayern München, in dieser Hinsicht seit 40 Jahren alles falsch gemacht zu haben.

Jenseits jeglichen Sarkasmus’ ist es allerdings wirklich sehr bedauerlich, dass die Mitglieder des VfB Stuttgart eine solche Truppe gewählt haben, den Verein in eine glorreiche Zukunft zu führen. Eine Truppe, die weiterhin höchst fragwürdige Geschäfte im dunkelsten Teil der juristischen Grauzone betreibt und deckt. Die keine Kritik zulässt und in allen Aktionen nur auf ihr eigenes Wohlergehen und Sicherung ihrer Pfründen bedacht ist. Unter deren Verantwortung wir mittlerweile einen Profikader haben, der jeglicher Beschreibung spottet und quasi untrainierbar ist. JA zum Erfolg, so sieht das also aus.

Aber wer weiß? Vielleicht spielt die Mannschaft ja gar nicht gegen den Abstieg. Vielleicht spielt sie ja gegen den Präsidenten...

Und als ob die Situation bei den Stuttgarter Roten nicht schlimm genug wäre, deren unsympathischer Präsident gerne auch mal beim Mittagessen im Clubhaus mit Joachim Steinhöfel, dem mindestens genauso unsympathischen Anwalt von Alice Weidel (AfD), für Twitter-Fotos posiert: Beim mittlerweile komplett in der Versenkung verschwundenen blauen Stadtrivalen, den Stuttgarter Kickers, stünde ich, wäre ich Fan oder gar Vereinsmitglied, vor mindestens ebenso großen Problemen und müsste mir noch deutlicher die Grundsatzfrage stellen, ob es sinnvoll ist, in einem solchen Verein weiterhin Mitglied zu sein.

Warum? Weil der Vorsitzende des Förderkreises der Blauen, eines eingetragenen Vereins, in dem sich viele langjährige Kickers-Mitglieder tummeln, nicht erst seit gestern Steffen Ernle heißt. Der war 1999 bis 2001 Vorsitzender des ultrarechten „Cannstatter Kreis“, Funktionär der christlich-fundamentalistischen Partei „Christliche Mitte“ und aktiv im deutschnationalen Andreas-Hofer-Bund. Er bewegte sich auch im Umfeld der „Konservativen Aktion Stuttgart“, schrieb für das neofaschistische Magazin „Nation und Europa“ und tauchte auch schon als Autor des „Mitteilungsblatts“ der Piusbruderschaft auf. Dieser feine Herr engagiert sich schon seit vielen Jahren bei den Kickers, ist aktuell stellvertretender AfD-Sprecher im Kreisverband Böblingen und fiel zuletzt unter anderem dadurch auf, dass er sich per Leserbrief an mehrere Lokalzeitungen angesichts Geflüchteter in seiner Provinz um den „sich entrechtet fühlenden Bio-Deutschen“ sorgte.

Und was macht man jetzt, wenn man Kickers-Mitglied ist und davon nichts wusste, weil man Funktionäre grundsätzlich lieber meidet oder jenseits des Stadionbesuchs die Vereinsmeierei nicht en detail verfolgt? Also ich finde, ganz egal ob Roter, Blauer, Gelber, Königsblauer oder sonstwer, man sollte sich da ganz schnell ganz groß folgenden Satz hinter die Ohren schreiben, den der geschätzte Stuttgarter Flaneur Joe Bauer dieser Tage formuliert hat: „Fußball ist ein internationales, der Menschlichkeit verpflichtetes Spiel. Fußball darf Rassisten und Rechtsnationalisten niemals ein Podium bieten.“ Und als Mitglied der Stuttgarter Kickers würde ich die Personalie Steffen Ernle bei jeder Gelegenheit hart kritisieren und mich dafür einsetzen, dass Verein und Förderverein im Rahmen ihrer Möglichkeiten diesen Herrn und Gleichgesinnte zumindest aus hervorgehobenen aktiven Ämtern entfernen.

Als VfB-Mitglied, das aber vor vielen Jahren auch gelegentlich bei den Blauen war, und dem damals die Stadionwurst in Degerloch deutlich besser schmeckte als im Neckarstadion, soll diese problematische Personalie hier zumindest öffentlich gemacht werden. Denn, und da wiederhole ich Joe Bauers Satz gleich nochmal: Fußball darf Rassisten und Rechtsnationalisten niemals ein Podium bieten. Nicht in Degerloch, nicht in Cannstatt, nirgends.