By the way 309 – tief durchatmen, damit der Kopf trotz Unverständnis klar bleibt. Und Mario Gomez ist nicht der liebe Gott.

Ganz tief einatmen, bis hinunter in den Bauch. Der wie immer nach längerem Verreisen sich erschreckend schlecht und geradezu dickflüssig anfühlenden Heidelberger Luft nachspüren, sie kurz unten drin lassen, dann vollständig ausatmen. Ganz langsam. Dieses fünf Mal wiederholen. Dann geht’s wieder. Das können Sie auch. Nicht vergessen, gerne probieren. Denn Gelassenheit und Gleichmut sind sehr wichtig in Zeiten allgemeiner Empörung. Oder auch: „Gelassenheit ist die Voraussetzung guter Entscheidungen“. Schreibt Wolf Lotter in einem Text bei brand eins, und ich bin froh, da nach Jahren mal wieder reingeschaut zu haben. Zu lang waren Lotters Riemen mir zwischenzeitlich geworden. Übrigens: Er schreibt von Gleichmut, nicht von Gleichgültigkeit

Wäre ja auch schlimm, wenn ich mir nach phänomenalem Urlaub von Chemnitzer Hutbürgern oder dubiosen Verfassungsschutz-Chefs gleich wieder die Stimmung versauen lassen täte. Aber hey, was darf der braune Mob, den sie „besorgte Bürger“ nennen, eigentlich noch alles?! Ich dachte immer, das was die Nazis dort und anderswo immer häufiger und immer lauter sagen und machen, das sei strafbewehrt? Hab ich wohl falsch gedacht – derartiges Verhalten führt in Deutschland heutzutage nicht vor Gericht sondern schnurstracks ins Fernsehen, Prime Time Talk, Sorgen ernst nehmen und so. Hätte ich nicht diese Atemtechnik, ich müsste direkt aus der Haut fahren.

Anderswo schreibt einer, die 40 Jahre DDR seien halt noch tief drin in den Menschen, die hätten ja nie Ausländer gesehen, nie Planungsunsicherheit gehabt. Im Übrigen seien die schon immer so gewesen. Schwierig, dagegen mit Fakten zu argumentieren – aber selbst wenn das so sein sollte: ca. 30 Jahre nach dem Mauerfall taugt es als mildernder Umstand nur bedingt.

Dass außer vereinzelter Landschaften im Osten Deutschlands vor allem außerhalb einiger Ballungsgebiete wenig bis überhaupt nichts blüht, das dient mir schon eher als Erklärung dafür, dass viele Menschen unzufrieden sind. Es sollte aber doch unseren finanziell, technisch und personell hochgerüsteten ÖR-Sendern möglich sein, die Sorgen der Menschen auch von Menschen artikulieren zu lassen – nicht von Karikaturen alter Titanic-Covers oder völlig unverblümten Neonazis.

So schwierig das für manche auch sein mag: Die große Gefahr von rechts muss endlich erkannt und ernst genommen werden. Strafbewehrte Handlungen und Äußerungen in Sachsen und anderswo müssen auf Basis strikter Rechtsstaatlichkeit geahndet werden, und ein zivilisierter Dialog untereinander ist immer möglich – wenn man diesen will. Das gilt sowohl für die Politik wie auch für die Menschen. Die zivilisierten Menschen. Und von diesem Dialog haben wir mit Sicherheit viel zu wenig. Dafür umso mehr eindeutig rechtsradikales Gebrüll unsäglicher Gestalten zur besten Sendezeit sowie Politiker, die wie schon fast immer und wie fast überall in ihrer eigenen Blase leben, wo man sich in erster Linie um die eigenen Pfründen sorgt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Leider scheint bei diesen Leuten fünfmal tief Durchatmen nicht zu reichen. Bei unserem seit Tagen komplett abgetauchten Herrn Innenminister wohl selbst zehnmal nicht.

Dass mein geliebter VfB Stuttgart den Saisonstart mit einer schon beinahe traditionellen Pokalniederlage in Rostock und einem kropfunnötigen 0:1 in Mainz eher suboptimal gestaltete, das ist ja auch schon fast Standard. Früher gerne noch garniert mit einem Ausscheiden aus dem untersten der internationalen Wettbewerbe gegen irgendwelche kroatischen Zweitligisten.

Für einen sonnengegerbten Pazifikschwimmer wie mich allerdings noch lange kein Grund, auch in diese Spielzeit von Beginn an komplett desillusioniert reinzugehen. Als Zweiter der letztsaisonalen Korkut-Tabelle, noch dazu und wider Erwarten mit einem Weltmeister und Schützen des schönsten WM-Tores in der Abwehrmitte sowie einem geradezu eklatant frühzeitig kompletten Kader wird man ja wohl ausnahmsweise mal optimistisch in die Saison gehen dürfen. Und sich auf das erste Heimspiel gehörig freuen. Denn gegen die Bayern alles rein,- raus- und sonstwo hinzuhauen, das wollen die Leute sehen. Auch wenn man dann verlieren sollte.

Nicht sehen wollen die Leute, dass man sich ängstlich hinten reinstellt, dem Gegner mit Ausnahme des eigenen Strafraums den gesamten Platz einfach überlässt und selbst im eigenen Strafraum noch auf Raum verteidigt. Oder aus Angst oder Unlust oder sonstwas immer ein, zwei Meter zu weit weg ist vom Gegner, was weiß ich denn? Ein solches Verhalten wollen eher die Bayern sehen, denn dann können sie das Ganze wie im Training runterspielen. Und keiner soll mir sagen, die Bayern seien einfach zu schnell und wendig, um sie packen zu können. Niklas Süle ist schnell – aber der saß draußen. Und selbst wenn die Taktik „hinten dicht, und vorne hilft der liebe Gott“ gewesen sein sollte: Mario Gomez ist nicht der liebe Gott. Vielleicht war er das mal, aber ohne die frühere Explosivität ist sein massiger Körper einfach nur schwerfällig. So legt er, beim gefühlt einzigen Ballkontakt im gegnerischen Strafraum, den Ball, sich dabei klein machend, lieber mit dem Kopf auf einen Mitspieler in ungünstigerer Position als selbst zu explodieren und irgendwas zu versuchen.

Ein sehr unerfreuliches erstes Heimspiel war das, und ich bin zwar eigentlich ein Anhänger des Trainers Tayfun Korkut, habe aber nicht verstanden, was er sich bei diesem Auftritt gedacht hat. Habe mich dann dran geklammert, dass er sehr wohl einen Plan hatte, die Spieler diesen aber nullkommanull umsetzen konnten. Oder noch schlimmer: nicht umsetzen wollten. So deutete ich zumindest sein dauerndes Winken, alle nach vorne schieben jetzt, schieben, schieben. Aber keiner schob. Außer Donis, den wechselte er dann aus.

Nun bin ich kein Trainer und habe mir geschworen, die ersten drei Punktspiele abzuwarten, bis dahin eben notfalls häufiger fünf Mal durchzuatmen und nicht gleich hysterisch zu werden. Und so mach ich das auch, bis zum Abpfiff in Freiburg. Immerhin ist die Champions League rechnerisch durchaus noch drin.