By the way 290 – die arschlochfreie Insel als Modell für den Mittelweg zwischen Gleichgültigkeit und Daueraufschrei

Manchmal fragt man sich, ob man es einfach mal „gut“ lassen soll. Einfach nix sagen, nix machen, auch wenn da viele Dinge passieren, die einen nicht nur subjektiv sondern ganz objektiv so richtig ankotzen, die man eigentlich auf keinen Fall unwidersprochen lassen will. Das in viel zu weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschende Phänomen, rechte Gewalt, Hetzparolen, auf dem rechten Auge blinde Justiz, offiziell genehmigte Aufmärsche wie aus dem Nazi-Bilderbuch uswusf „nicht so schlimm“ zu finden, dass ein viel zu großer Haufen viel zu braunen Packs hier bei uns von vielen Millionen Leuten in die Parlamente gewählt und überall hin eingeladen und hoffähig gemacht wird, das sollte wirklich jeden ankotzen. Schon gleich dreimal nicht sollte ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender in der ersten Reihe derer marschieren, die das alles „nicht so schlimm“ finden und die, noch übler, diejenigen dumm angehen, die es schlimm finden und etwas dagegen unternehmen – womit wir beim Fußball und Eintracht Frankfurt-Präsident Peter Fischer und Sven Voss vom aktuellen Sportstudio wären, der da letzten Samstag wirklich ein unsägliches Interview rausgehauen hat. Philipp Köster findet im Stern dazu genau die richtigen Worte. Er lässt es nicht einfach „gut“ sein. Sehr schade übrigens, dass Tage später auch der von mir eigentlich sehr geschätzte Patrick Wasserziehr bei Sky90 zum selben Thema eine schlechte Figur abgab.

Natürlich gibt es auch abseits des großen Nazi-Themas megatonnenweise Sachen, die einen ankotzen, wo einfach gelogen und getäuscht und betrogen wird, die man nicht einfach „gut“ sein lassen sollte. Wer jemals im Politikbetrieb unterwegs war, und sei es nur auf lokaler Ebene, der weiß genau, was gemeint ist. In der Wirtschaft, in der Verwaltung, überall dasselbe. Integrität nur Ausnahme, wer nicht schon immer ein Arschloch war, der wird es spätestens, wenn er mitmischt. Unmöglich, gegen all die skandalösen, schäbigen und abgefeimten Verhaltensweisen im Großen und im Kleinen vorzugehen, sie laut auszusprechen als das, was sie sind: Schäbig und abgefeimt. Wäre ja kein Leben mehr, wenn man rund um die Uhr aufschriee. Hätte man ja nicht mal mehr Muße dran, ein geradezu obszön geiles Wort wie „aufschriee“ zu verwenden.

Wie also umgehen mit all dem Scheiß? Wie die Balance finden zwischen absoluter Gleichgültigkeit und Daueraufschrei? Muss wohl jeder für sich selbst rausfinden, was da das richtige Maß ist. Ich selbst bin mir eines manchmal geradezu erschreckend zynischen Hinnehmens meinerseits durchaus bewusst, habe aber doch ein kleines Archipel entdeckt, dessen Verschandelung ich entschieden entgegen trete. Zu diesem Archipel gehören größere und kleinere Inseln, sie alle stehen stellvertretend für das große Ganze, und ich kenne die meisten dieser Inseln zumindest im Vergleich zur Allgemeinheit ziemlich gut. Wenn also auf einer dieser Inseln Sachen passieren, von denen ich aufgrund meiner Informationen und meiner Erfahrung meine sagen zu können, dass sie objektiv scheiße sind, dann mach ich das bekannt und versuche, die handelnden Personen nicht einfach so machen zu lassen, sie nicht mit ihrem abgefeimten Verhalten einfach durchkommen zu lassen. Und eine dieser Inseln ist der VfB Stuttgart.

Hier, beim VfB Stuttgart, wurde ein Präsident gewählt, dessen berufliche Vita gleich an mehreren Punkten eines lauten Aufschreis würdig ist. Heute beschränke ich mich schon aus Platzgründen auf sein Handeln und Wirken beim VfB Stuttgart, wo er den Mitgliedern langfristige Konzepte und Nachhaltigkeit zum Wohle des Vereins predigt und zumindest vordergründig nur kurzfristig angelegten und auf Machterhalt ausgelegten Aktionismus praktiziert. Wo er von lokalen oder regionalen Partnern redet und kurz darauf Fonds als Investoren nicht ausschließt. Wo er von maximal 24,9% der Anteile für Investoren spricht und sich auffällig unauffällig zurückhält, wenn es um das Thema 50 plus 1 geht. Wo er den einen Sportvorstand angeblich wegen ausbleibender Transfers feuert und den anderen wenige Monate später dafür lobt, keine Transfers getätigt zu haben, nicht in Aktionismus verfallen zu sein. Wo er, wie immer mehr Leute immer offener meinen, den Herrn Reschke von Best Buddy Dieter im Auftrag dessen Bruders Uli Hoeneß aufgeschwätzt bekommen und dann halt den Schindelmeiser gefeuert hat, weil der Uli den Michael endlich loswerden wollte - denn der Uli trifft die Entscheidungen immer selbst, der braucht keinen, der es besser zu wissen meint, der braucht nur einen, der als Ex-Profi die Mannschaft kennt, der weiß, wo die sich nachts rumtreiben (und das weiß der Hasan halt besser als der Michael). Wo er behauptet, mit Kritik umgehen zu können und eine völlig seriös vorgetragene Frage nach einer möglichen Beteiligung einer ihm verbundenen Firma auf der Mitgliederversammlung als vereinsschädigend bezeichnet. Wo er, ganz Destructivus (Sie erinnern sich?), sich nicht schützend vor seinen Trainer stellt, wenn dessen Autorität von einzelnen Spielern hintertrieben wird. Wo er eine augenscheinliche Betaversion seiner selbst zu seinem Statthalter macht, die es als Sportchef ebenfalls zulässt, dass der Trainer nicht vorbehaltslos nach außen gestützt und geschützt wird. Ist es nicht zunächst einmal Aufgabe eines jeden guten Chefs, sich nach außen hin schützend vor seine Mitarbeiter zu stellen, no matter what? Statt dessen lässt dieser Präsident seine PR-Menschen bei hofberichterstattenden Medien Eitel Sonnenschein verbreiten, seinen mit Baldrian oder sonstwas vollgepumpten Sportchef in TV-Talks auswendig gelernte Phrasen aufsagen und seinen Sprecher beim Spiegel online anrufen, um sich über einen ihm unliebsamen Satz eines, wait for it, Fanexperten zu beschweren – wie ein Rumpelstilzchen sich der Lächerlichkeit preisgebend. Da heißt es doch für diesen Fanexperten: magnitudo animi, heiteres Darüberstehen, nächste Woche geht es weiter. Teeren und federn und auf einer Eisenbahnschiene aus der Stadt tragen kann man den Präsidenten und seinen Sportvorstand am Saisonende immer noch, das läuft ja nicht weg. Und da der Präsident offenbar der Ansicht ist, die Aufforderung, ihn teeren und federn usw. zu lassen, sei ein ganz konkreter Aufruf zur Gewalt, so sei ihm an dieser Stelle zugerufen, dass meine Heinzelmännchen im Verbund mit den 24 rosa Einhörnern im Keller gerade ganz konkret dabei sind, die Temperatur des Teers sogar noch etwas zu erhöhen. Dass ein Wolfgang Dietrich in Stuttgart unbehelligt wirken kann, wie es ihm beliebt, das wird nicht hingenommen, nicht auf dieser Insel.

Weiterhin hat der VfB Stuttgart, warum auch immer, einen Trainer verpflichtet, über den kübelweise Hass ausgegossen wurde, teeren und federn nix dagegen. Das ist bis zu einer bestimmten Grenze in diesem Geschäft normale Härte, das abzukönnen wird den Protagonisten im Fußball auch reichlich entlohnt. Wenn aber, wie im Falle Tayfun Korkut, vielerorts behauptet wird, dieser habe als Trainer in Kaiserslautern versagt und sich dann auch noch schäbig aus dem Staub gemacht, dann ist es zu viel. Weil es einfach nicht stimmt. Denn allzu viele Spatzen pfeifen vom Betzenberg herunter, Tayfun Korkut habe in Kaiserslautern unter bestimmten Bedingungen unterschrieben, die bis zum Zeitpunkt seiner Unterschrift zwar seitens der Vereinsführung so behauptet wurden, sich aber bald danach als falsch herausstellten. Und das ist jetzt noch diplomatisch ausgedrückt. Zudem hat das Trainerteam immer klar gemacht, dass mit der damaligen Truppe sinngemäß mit viel Glück Platz 15 realistisch sei – nicht aber der von der Vereinsführung ebenso sinngemäß geforderte Platz Fünf.

Dass Tayfun Korkut unter diesen Bedingungen völlig geräuschlos gekündigt und keinerlei schmutzige Wäsche öffentlich gewaschen hat, das ist guter Stil und nichts anderes. Ok, wer es grober will, der kann ihm dafür Masochismus unterstellen – eine Eigenschaft, die wahrscheinlich gar nicht mal so fehl am Platz ist, wenn Deine Vorgesetzten Reschke und Dietrich heißen. Letzterer übrigens ja angeblich auch investiert in Kaiserslautern, über die Firma, die er seinem Sohn kurzfristig überschrieben hat, um bei der DFL als Präsidentschaftskandidat überhaupt zugelassen zu werden, obgleich manche meinen, das alles sei immer noch nicht mit diesen Statuten vereinbar.

Das auf dem Betzenberg vorherrschende absolute Chaos bitte gerne auch als mahnendes Beispiel nehmen, was in Stuttgart passieren kann, wenn man den Verein in die Hände von Profilneurotikern und Egozentrikern legt. Als ob wir nicht erst neulich genau deswegen abgestiegen wären. Auch damals habe ich versucht, die geradezu nukleare Verseuchung des Inselchens VfB Stuttgart mit lautem Aufschrei zu verhindern – auch damals haben viele lieber einem Herrn Dutt applaudiert, dem Aufsichtsrat geglaubt und Christoph Schickhardt die Strippen ziehen lassen. So schlimm wird es ja schon nicht sein, das sind doch erfahrene Profis. So schlimm war es aber. Sogar noch schlimmer.

Und jetzt, wo ist die Hoffnung, gibt’s denn so was überhaupt? Natürlich gibt’s das, sonst würde sich der Aufschrei ja erübrigen. Denn auch weiterhin kann man einen Präsidenten auf der Mitgliederversammlung abwählen. Auch weiterhin hoffe ich, dass eine ausreichende Mehrheit an Mitgliedern sich aufgerufen fühlt, diesem Spuk ein Ende zu machen. Es nicht durch Inaktivität, durch simples Nicht-Hingehen zulässt, dass der Präsident und seine Jubelperser auch die nächste Wahl gewinnen. Es ähnlich macht wie die Cannstatter Kurve im letzten Heimspiel: In großer Zahl erscheinen, engagiert mitmachen.

Auch der Stern von Untertürkheim gibt Hoffnung. Darauf, dass der Daimler mit der Ausgliederung der Profifußballer in eine AG erreicht hat, was er wollte. Nämlich Ruhe vor der eigenen Hütte. Kein anderer, dem Daimler unliebsamer Investor beim VfB, jetzt nicht, und in Zukunft auch nicht. Dass er möglicherweise meinte, diese Ausgliederung nur mit einem schmerzfreien Wolfgang Dietrich erreichen zu können, das wäre aus Daimler-Sicht fast schon verständlich. Kann ja schon sein, dass es dazu einen brauchte, der kalt und skrupellos agiert und, wer weiß, mit der Aussicht auf ausreichende Belohnung das Ding ohne Rücksicht auf Verluste einfach durchdrückt. Dazu war Vorgängerpräsident Wahler nicht der richtige Mann. Aber jetzt, Herr Zetsche, Herr Källenius, Herr Uebber, jetzt möge doch nachhaltig Ruhe herrschen vor Ihrer Tür. Ruhiges, erfolgsorientiertes Arbeiten im Sinne des sportlichen Erfolgs. Keine persönlichen Machtphantasien mehr. Sammer, Klinsmann, Khedira, Hitzlsperger – Leute dieses Schlages sukzessive in die Verantwortung, den Nachwuchs fördern statt abschaffen, dazu ein oder zwei erfahrene integre (falls vorhanden) Finanzer, da kann womöglich selbst ein Michael Reschke als Chefscout neben einem Trainer gute Arbeit abliefern.

Es gibt auch innerhalb des Vereins noch Persönlichkeiten, deren Integrität ich selbst kenne oder doch zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit annehme. Derartige Persönlichkeiten im Verbund mit einer unbestrittenen Gallionsfigur an den Start zu bringen, das muss einfach möglich sein. Und es sollte auch im Interesse unseres Ankerinvestors sein. Also bitte, Herr Dietrich: Verlassen Sie umgehend das Archipel! Es kann einfach nicht sein, dass der VfB Stuttgart erst wieder absteigen muss, um Sie loszuwerden!

By the way: Nächste Woche ist hier Pause, es geht weiter am 21. Februar.