By the way 242 – die Rückrunde, eine Fiktion?

Horst R. war ganz schlecht drauf. Die misslungenen Feiertage lasteten auf seinem Gemüt, das unmäßige Fressen lag ihm immer noch schwer im Magen. Als einer der wenigen Richter unter lauter Richterinnen am Amtsgericht Bad Cannstatt hatte er seit dem 5. Januar wieder Dienst, und inmitten all der todlangweiligen Zivilsachen kreisten die Gedanken des bekennenden Kickers-Fans vor allem um ein Thema: Wen konnte er büßen lassen für seine schlechte Laune? Die Hauspost am Morgen des 9. Januar 2017 brachte die Lösung seines Problems.

VfB-Mitglied Ramona F. genoss Südafrika in vollen Zügen. Zunächst war sie ja misstrauisch gewesen – warum sollte Wolfgang D. ausgerechnet die ledige Sachbearbeiterin bei der Landesversicherungsanstalt über Weihnachten in seine prächtige Datsche nahe Kapstadt einladen? Freundin Gabi M. hatte sie schließlich überredet, „Du hasch doch eh nix zum Verliera“, hatte sie gesagt, was ja nun in der Tat stimmte, wenn sie ihr Scheißleben mal so Revue passieren ließ. Am meisten schmerzte sie noch, dass die Spieler ihres geliebten Vereins keine Weihnachtsfeier abhalten durften – der Präsi hatte auf frühe Abreise gedrungen, und ohne ihn sollten sie nicht feiern. Aber bald schon nach der Ankunft in Südafrika war aller Zweifel verflogen: Zu stramm die Hausangestellten, zu köstlich der Wein, und der für ihren Geschmack eigentlich viel zu hagere D. nur selten überhaupt zu sehen. Dafür umso häufiger dieser Große mit dem blonden Resthaar, der ihr von irgendwoher bekannt vorkam, ständig von seinem Bruder Uli redete und vom Holger B., den er unbedingt zum VfB lotsen wolle, D.’s Firma solle da doch mal ordentlich auffahren. Ramona ließ sich treiben, es war wie im Film, und sie trank fast so viel Weißwein wie Gerard Depardieu. Als D. und sein alter Spezi Claus-Dieter W. sie am ersten Weihnachtsfeiertag zur Nashornjagd einluden, empfand sie das als willkommene Abwechslung, sie, die doch eigentlich Tiere aller Art so süß fand. Aber wer konnte schon von sich behaupten, mit Schnellfeuergewehren auf junge Albino-Nashörner geschossen zu haben? Zu schade, dass sie das nicht posten konnte bei Facebook, das wäre was gewesen. Aber die Herren hatten ihr leider verboten, das Handy mitzunehmen.

Dafür am Abend dann Tacheles. Ob sie ihm nicht einen Gefallen tun könne, fragte der Präsident ihres Herzensvereins. Reine Formsache, nix Großes, einfach hier unterschreiben und nach Rückkehr gleich Anfang Januar beim Amtsgericht Bad Cannstatt einwerfen. „Antrag auf sofortige Löschung aus dem Vereinsregister“ stand drüber, das konnte Ramona noch erkennen. Dann reichte W. ihr aber schon wieder die Kröte, die am Rücken abzulecken sie sofort in eine andere Galaxis katapultierte. Grade eben noch so konnte sie ihren Namen druntersetzen...

Den VfB aus dem Vereinsregister löschen? Donnerwetter, das wäre ein Ding! Horst R.’s schlechte Laune war wie weggeblasen. Die Roten tilgen von der Landkarte, die Kickers fortan Nummer 1 am Platze. Kraft Amtes gab er dem Antrag der Ramona F. statt und setzte die kürzest mögliche Frist. Ab dafür, rüber zum VfB, nicht ohne freilich vorab noch einen kurzen Hinweis an Gunter B. abzusetzen, das alte Walross von der Zeitung.

Wolfgang D. war zufrieden. Nicht nur, dass sie gleich drei kleine Albinorhinos erlegt hatten – auch der Plan mit dieser fetten LVA-Tante Ramona F. schien rundweg aufzugehen. Der Antrag war raus, er konnte den Getriebenen spielen. Und spielte ihn.

Am 28. Spieltag kam der KSC. Mit den Kumpels von der DFL ließ es sich einrichten, dass der VfB ausnahmsweise mal Samstags spielte, also konnte am Sonntag, 9. April 2017 die Mitgliederversammlung terminiert werden. Bis dahin war der VfB trotz bitterer Niederlagen u. A. in Heidenheim und Braunschweig immer noch im Rennen um den Aufstieg, und nach einem 4:0 zuhause gegen die Badenser würden ihm die Mitglieder aus der Hand fressen. „Ausgliederung oder Tod!“ würde er rufen, nicht ohne den Zusatz, dass er das Thema ja viel lieber auch mit viel weniger Druck angegangen wäre. Aber jetzt habe man keine Wahl, fast wie damals, als er selbst den Thron bestiegen hatte. Den nervigen Kutten vom Commando Cannstatt gegen den KSC das Bufotenin ins Bier zu geben, das war freilich Stefan H.’s Idee gewesen, keine Frage. Da hatte sich der kleine Finanzer mal echt richtig nützlich gemacht, denn die Ultras lagen am Sonntag halluzinierend in ihren Betten, nix Abstimmung, nix Nein zur Ausgliederung. Und weil seine Truppe wie vorhergesagt 4:0 gewann, waren die 78,9 Prozent pro Ausgliederung quasi ein Selbstläufer. Hausrecht Hilfsbegriff, die Reihen fest geschlossen, jetzt würde sich das komplizierte Firmengeflecht erst so richtig bezahlt machen.

Dass man am 21. Mai gegen die Kickers aus Würzburg mit dem 0:1 die zehnte Saisonniederlage kassierte und trotzdem als Tabellenzweiter hinter Hannover aufstieg, das erschien selbst Wolfgang D. als ein mittleres Wunder. Das die Deppen von der Stadt den fälligen Wiederaufstiegs-Autokonvoi wegen Feinstaubalarms verboten, das konnte der Präsi hingegen locker verschmerzen. Zu groß war die Aufregung über die bevorstehenden Relegationsspiele zwischen Heidenheim und Ingolstadt. Wenn das in seinem Sinne verlief, dann konnte er das Anwesen auf den Tafelbergen locker gleich nochmal doppelt so groß planen lassen. Was für ein Jahr, dachte sich D..

Und in Remshalden kam der imperiale Vernichtungsschmerz. So nennt man das doch, dachte Horst R. noch, sich an die Brust fassend. Wenn er seine Frau nicht vergrämt hätte vor lauter schlechter Laune, dann hätte sie jetzt für ihn den Notarzt rufen können. Aber Hildegard war schon im April gegangen, als die Ausbrüche des Gatten Überhand genommen hatten. Und das alles wegen so einem blöden Fußballverein...